Berufsbild Sprecher/-in: Interview mit Matthias Lühn

Interview: Matthias Lühn über den Beruf als Sprecher

1. Hallo Herr Lühn. Stellen Sie sich und Ihren Werdegang als Sprecher kurz vor.

Während meiner Ausbildung in Wien hatte ich schon erste Möglickeiten genutzt, um Gedichte und kurze Erzählungen aufzunehmen und zu verschenken. Ich nutzte dazu Studio und Techniker an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst, Wien.
Während meines Engagements am Burgtheater bewarb ich mich bereits beim ORF und wurde als Sprecher für Features im Radio eingesetzt.
Während meines Engagements am Schauspiel Frankfurt nutzte ich meine Kontakte (ORF und HR sowie auch WDR arbeiten oft zusammen), um beim HR anzuheuern. Dort kam ich dann häufig in der Sparte „Hörspiel“ zu Einsatz, u.a. in der sehr aufwendig produzierten Produktion „Otherland“.
Zurück in Wien (Engagement Wiener Schauspielhaus) knüpfte ich wieder an meine ORF-Tätigkeiten an und sprach sehr viele Features im Radio. Dazu kamen recht bald viele Beiträge für das Fernsehen, ORF-TV, wo ich recht bald im festen Sprecherensemble aufgenommen wurde.
Nach meinem Umzug nach Köln arbeitete ich fast sofort und sehr regelmäßig für den WDR und den Deutschlandfunk. Es kamen auch Synchrontätigkeiten dazu.
Ich bewarb mich auch bei vielen einschlägigen Hörbuchproduzenten, bei denen ich recht früh und zahlreich Anklang fand. Seit gut vier Jahren habe ich nun bereits zahlreiche Hörbücher für verschiedene Verlage aufgenommen, die zumeist auch auf der Internetplattform von „Audible“ hochgeladen sind.

Zusätzlich zu dieser Tätigkeit (neben der Arbeit als Theater- und TV- sowie Filmschauspieler) gebe ich auch Coaching-Seminare zu Sprechtraining, Atem- und Stimmführung

2. Haben Sie sich auf ein bestimmtes Gebiet spezialisiert? Wenn ja, auf welches und welche Gründe hatten Sie?

Spezialisiert habe ich mich in den letzten Jahren auf Hörbuch-Produktionen. Dabei heben sich zwei Sparten besonders ab: Sachbücher und Fantasy.
Sachbücher interessieren mich aufgrund der Bandbreite der Themen (von Politik, Gesellschaftskritik über Wirtschaft bis Gesundheit); Fantasy (auch Sci-Fi) ist offensichtlich „echt mein Ding“! Die Ausgestaltung und Interpretationen der verschiedenen Figuren in den unterschiedlichsten Genres liegt mir als ausgebildeter Schauspieler sehr!

3. Was macht besonders viel Spaß an Ihrer Arbeit? Was finden Sie besonders anspruchsvoll?

Besonders viel Spaß macht es mir, mich auf die „innere Reise“ der verschiedenen Geschichten zu begeben, mich in die (teilweise abstrusesten) Fantasien hineinfallen zu lassen. Bei meinen Figuren habe ich zumeist sehr klare innere Bilder von den Personen vor Augen (groß, klein, dick, dünn, alt, jung, verschlagen, treuherzig, Opfer, Schurke, zumeist ambivalent und zerrissen), in die ich dann hineinschlüpfe und denen ich eine ganz eigene und charakteristische Stimme verleihe. Bei den Erzählpassagen selber ist es immer wieder eine sehr spannende und reizvolle Herausforderung, die entsprechende und passende Stimmung hervorzuzaubern: wie male ich mit meinem Vortrag ein Bild (Natur- und Szenarienbeschreibungen), wie bringe ich Dramatik rüber (Action-Szenen), wie führe ich den Zuhörer durch den Plot (Geschichtsentwicklung und Dramaturgie), wie wechsle ich gekonnt die Tempi, um den Zuhörer am Ball zu halten?
Bei den Sachbüchern geht es mir zumeist darum, trotz aller Distanz, da ich ja ein Thema vorzustellen habe, eine Haltung zu dem Gesprochenen zu entwickeln. Ich mache mich dadurch auch – sehr gerne – angreifbar. Aber ich liebe dieses Risiko. Ich bin ja kein Nachrichtensprecher!

4. Können Sie (vielleicht anhand eines Beispiels) erklären, wie sich der allgemeine Arbeitsalltag eines Sprechers gestaltet und wie viel Zeit man für eine bestimmte Sprecherrolle in der Regel aufwenden muss?

Ich habe zum Beispiel vor Kurzem eine Fantasy-Trilogie über den „Gentlemen-Ganoven“ Lock Lamora eingesprochen (erschienen bei „audible“), ein sehr gut geschriebenes, unglaublich fantasiereiches und mitreißendes Epos. Darin kommen unglaublich verschiedene Charaktere vor, die sich – da es auch um Magie und viel Illusionen handelt – wandeln, verstellen oder auch in eine andere Realität abtauchen. Ich lese vorab das Buch und „drehe“ sozusagen sofort meinen eigenen Film dazu. Ich bin mein eigener „Caster“ und „besetze“ Rollen. Manchmal sogar habe ich ganz konkrete Schauspieler dafür im Kopf. Ich mache mir Notizen und habe schon bestimmte Stimmen „im Ohr“! Danach geht es ins Studio. An diesen Tagen bin ich zumeist bereits Stunden vorher wach und „im Leben“! Der Energiepegel muss stimmen, die Stimme sitzen, der Geist wach sein. Sprechen ist eines der komplexesten körperlichen Vorgänge. Dafür muss schon alles „auf dem Posten sein“! No-go’s beim Essen vor diesen Aufnahmen: Kaffee, Schokolade, Bananen, Milch: das verschleimt und zieht zuviel Wasser. Hilfreich: Äpfel und (im Studio selbst) Wasser mit ein wenig Traubensaft!! Bei den Aufnahmen geht es dann auch darum, die Figuren zu finden (möglicht realistsich) und eine Sprecherhaltung zu finden. Ich stelle mir meist vor, dass ich zu einem imaginierten Publikum spreche; ich bin dann der Vortragende für ein größeres Auditorium. Konzentration ist sehr sehr wichtig. Ich verbringe oft ein bzw. zwei Stunden am Stück im Studio, mache eine kleine Pause, mache dann weiter. So komme ich inzwischen pro Tag auf ein Pensum von ca. 120-180 Seiten. Dann bin ich „im flow“. Es gibt dann nichts anderes! Die Zeit, die man also für z.B. eine Stunde Hörbuch aufwenden muss, ist naturgemäß um ein vielfaches höher als die reine Einspielzeit, um ein SEHR vielfaches höher!

5. Wie bereitet man sich als Sprecher auf eine bestimmte Arbeit vor?

Das kommt darauf an. Ich bin Schauspieler. Und wie einer meiner Lehrer einmal treffend sagte: „Schauspieler ist kein Beruf. Es ist eine Daseinsform. Schauspieler ist man 24 Stunden am Tag!“ Was ich damit sagen will: Mir ist die Haltung der Präsenz (in Geist und Körper), die Wachheit und Alertheit meiner Sprechorgane schon so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich zu wagen behaupte, ich bereite mich ständig vor! Andere Sprecher handhaben das (auch SEHR diszipliniert!!) anders: sie machen schon früh morgens ihre Übungen und machen sich auf die Suche nach ihrem Stimmsitz. Diese Kollegen kommen dann unglaublich präperiert ins Studio. Wie gesagt: einfach ins Studio und loslegen funktioniert nicht!
Was die Vorbereitungen anbelangt, ist bei Sachbüchern natürlich noch eine andere (teilweise umfangreichere) Vorarbeit notwendig. Vor gar nicht so langer Zeit sprach ich das Hörbuch zu Hamed Abdel-Samad’s „Mohamed“ ein (, ein – wie ich finde – hervorragendes und wichtiges Buch!!). Da gab es – wie nicht anders zu erwarten bei dem Thema – jede Menge arabische Fachausdrücke, Orte und Namen. So!! Wie – in drei Teufels Namen – spricht man die aus? Und zwar absolut korrekt!! Denn es geht an eine – gerade heutzutage – äußerst aufmerksame Zuhörerschaft, und das tausendfach. Da kann ich mir absolut keinen Schnitzer leisten! Ich habe STUNDEN im Internet auf den entsprechenden Aussprache-Banken die Begriffe gesucht, mir vorsprechen lassen und geübt!! Diese Arbeit kann Dir kein Verlag bezahlen. Da würde eine Produktion extrem teuer werden. Aber das gehört dazu! Und es war es mir – in diesem Fall besonders – absolut wert!

6. Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach ein Studium, oder eine Ausbildung in dieser Branche und wie würden Sie heute als Berufseinsteiger beginnen?

Ein Studium und eine Ausbildung sind in dieser Branche UNABDINGBAR!!!!!! Nichts ist enervierender, als einem schlampigen, unausgebildeten, Stimmführungs-Unsicheren, nach Atem ringenden Sprecher zuzuhören, der es nicht vermag, einen Spannungsbogen herzustellen, geschweige denn zu halten! Ich würde Berufseinsteigern DRINGEND raten, eine Ausbildung zu absolvieren, um ein Bewusstsein dafür zu entwicklen, was sie da eigentlich genau machen, und wie komplex dieser Vorgang eigentlich ist! Und dann: Üben, üben, üben, üben…. UND: Zuhören! Das Zuhören trainieren!!

7. Für wie wichtig halten Sie Sprech-, Schauspielunterricht u.A., um professionell Sprechen zu können?

Wie gesagt: Sprechausbildung ist ohne Frage ein „Muss“! Der Schauspielunterricht ist meines Erachtens sehr hilfreich, speziell im Fantasy-Bereich. Aber er ist nicht unabdingbar! Ich kenne sehr viele AUSGEZEICHNETE Sprecher, die nicht einmal wissen, was eine Schauspielausbildung überhaupt sein soll. Sie kommen ursprünglich aus den unterschiedlichsten Berufen. Ein wirklich sehr erfolgreicher und exzellenter Sprecher, den ich als Erzähler, aber auch persönlich sehr sehr mag, ist z.B. Uve Teschner. Der brauchte nie eine Schauspielausbildung! Der IST einfach! Der ist einfach ein „natural born artist“! Die Menschen sind also verschieden. ABER: schauen Sie sich mal an, wie lange der das schon macht, und mit welcher Akribie der Mann arbeitet. DAS nenne ich Passion!

8. Was macht Ihrer Meinung nach eine gute/hörenswerte Sprechstimme aus? Worauf kommt es Ihrer Meinung nach beim Sprechen verschiedener Texte besonders an?

Eine gute Sprechstimme ist einzigartig! Einzigartig deswegen, weil der Sprecher SICH gefunden hat, sich und seine Stimme! Das hört man!!!! Versucht ein Sprecher irgendetwas zu „produzieren“ oder nachzuspielen (um nicht zu sagen: nachzuäffen!), tut das – mir persönlich – weh! Die meisten Menschen können gar nicht genau benennen, was sie genau stört. Aber wir alle haben dafür ein ganz feines untrügliches Sensorikum. Es sind diese – oft unbewussten – Antennen, die uns Mutter Natur mit auf dem Weg gegeben hat, um zu überleben. Es sind sehr rudimentäre Instinkte, die uns verraten, ob jemand authentisch ist, oder ob er „lügt“! Und wenn etwas nicht stimmt, stimmt es einfach nicht!
Verschiedene Texte erfordern eine unterschiedliche Sprechhaltung und einen gewissen Duktus. Ich kann ein Sachbuch nicht wie einen Krimi vorlesen, einen Roman wie einen Nachrichtentext und umgekehrt und so weiter und so fort! Für all diese verschiedenen Genres muss man ein Gespür entwickeln, sensibel und ehrlich sein!

9. welche Herausforderungen erwarten einen in diesem Beruf und für wen ist der Beruf des Sprechers Ihrer Meinung nach eher ungeeignet?

Die Herausforderung ist die Vielfalt der Anforderungen und der Tätigkeitsfelder von Radio über Fernsehen, Synchron, Hörbüchern zu Hörspielen. Der Beruf ist meines Erachtens schon vornehmlich für Schauspieler sehr geeignet. Ist aber – wie gesagt – nicht ausschließlich zu verstehen!

10. Haben Sie ansonsten hilfreiche Ratschläge oder Tipps für Berufseinsteiger?

Hören, hören, hören! Wach sein und sich so viele verschiedene Sprecher wie möglich anhören…. Mit Verstand!!! Und dann: MACHEN! Einfach „ran an den Speck“!…Ach ja: immer wieder Feedback und Kritik einfordern. Schmeichler bringen einen nicht weiter! Gute Ratschläge und konstruktive Kritik sind GOLD wert!!!

Website von Matthias Lühn

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1. Was ist ein Sprecher?

Der Begriff des Sprechers ist ein Oberbegriff für eine breit gefächerte Berufsgruppe. Es gibt den Kommentator, den Off-Sprecher, den Synchronsprecher, den Moderator, den Nachrichtensprecher, den Reporter, Radiosprecher, Sprecher für Kinofilme, Imagefilme, Dokumentationen und vieles mehr. Alle diese Berufe haben ihre ganz eigenen Tätigkeitsbereiche. Was diese Menschen gemeinsam haben ist, dass sie mit ihrer Stimme Geld verdienen und meistens freiberuflich arbeiten –auf unterschiedliche Art und Weise. Das Spektrum dessen, was ein Sprecher macht ist meistens sehr groß. Das bedeutet, dass ein Moderator meistens nicht nur Moderator, sondern zum Beispiel auch Hörbuch- und Werbesprecher oder mehr ist. Es gibt Sprecher, die ihre eigenen Studios besitzen und zu Hause selbst die Aufnahmen machen, aber natürlich gibt es auch Sprecher, die vor Ort gebraucht werden, da sie mit anderen zusammenarbeiten müssen etc. Im Allgemeinen arbeiten Sprecher sowohl eigenverantwortlich, als auch nach Anweisungen. Sie liefern dem jeweiligen Auftraggeber ihre Vorlagen. Wenn dieser Verbesserungen vorschlägt, setzt der Sprecher diese in seinem Ermessen um.

2. Wie wird man zum Sprecher?

Ob Synchronstimme eines amerikanischen Stars oder Werbestimme – die Wege dorthin sind sehr unterschiedlich, denn der Beruf des Sprechers ist kein klassischer Lehrberuf. Da der Beruf des Sprechers dem Beruf des Schauspielers sehr ähnlich ist, sind viele Sprecher ehemalige Schauspieler. Schauspielerisches Talent und ein gutes Gehör sind in diesem Beruf sehr wichtig. Eine Schauspielausbildung ist zwar im Gegensatz zu früher nicht notwendig, um erfolgreich in dieser Branche zu werden. Trotzdem ist es für bestimmte Bereiche sehr empfehlenswert, vorerst eine Schauspielausbildung und/oder Sprachausbildung zu machen. Auch intensives, autodidaktisches Training kann zum Ziel führen. Ein erfolgreicher Sprecher zeichnet sich vor allem durch den seriösen Umgang mit seiner Stimme aus.

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